El Buen Libro, gegründet 1945 in Buenos Aires

Bei der Auswertung bibliographischer Metadaten (DNB, 1945–1963) bin ich auf einen Verlag gestoßen, dessen Profil Fragen aufwirft: Es handelt sich um den deutschsprachigen Verlag »El Buen Libro«, ansässig in Buenos Aires. Zwischen 1945 und 1949, also in der sog. Lizensierungsphase, veröffentlichten dort eine ganze Reihe nationalsozialistischer Autoren, darunter Werner Beumelburg, der für Hermann Göring das Kriegstagebuch führte, Hans Friedrich Blunck, der erste Präsident der Reichsschriftumskammer, dessen Name sich auf der ›Gottbegnadeten-Liste‹ findet, oder Hans Grimm, der vor 1945 und nach 1949 die ›Lippoldsberger Dichtertage‹ organisierte.

Dass Argentinien ein beliebtes Fluchtziel für »Nazis, SS-Angehörige, Kollaborateure und Faschisten« (Steinbacher 2020) war, hat die Forschung (z.B. hier oder hier) herausgearbeitet. Allerdings drängt sich der Verdacht auf, dass die Bücher nicht ausschließlich für den argentinischen Markt produziert wurden; jedenfalls finden sich auf dem antiquarischen Markt in Deutschland zahlreiche Titel aus dem Programm von El Buen Libro, z.B. von Blunck oder Grimm.

Verlag und Buchhandlung El Buen Libro

Über El Buen Libro etwas in Erfahrung zu bringen, ist gar nicht leicht. Der Blick in die Adressbücher des deutschsprachigen Buchhandels verrät zumindest die Eckdaten: Der Verlag wurde im Dezember 1945 gegründet und hat seinen Sitz in der Sucre 2340, Buenos Aires. Inhaber war zunächst Dr. Werner Schmidt, später kam Anne-Eva Ritter hinzu; noch später führte diese den Verlag gemeinsam mit Ursula Grimm. Das erfährt man aus den Adressbüchern der Jahre 1954, 1955, 1956, 1957/58, 1960/61, 1962/63, 1965/66 sowie 1969/70. Bei Anne-Eva Ritter handelt es sich möglicherweise, so meine noch nicht verifizierte Vermutung, um die Ehefrau des Kameramanns Heinz Ritter, der unter seinem Vater Karl Ritter, Direktor und Produktionschef der UFA, NS-Propagandafilme drehte. Sohn und Vater wanderten 1949 bzw. 1950 nach Argentinien aus. Werner Schmidt, der in den Adressbüchern bis 1962/63 als Inhaber geführt wird, ist in der GND nur sporadisch verzeichnet. Fündig wird man sonst v.a. in rechtsradikalen Publikationen und Erinnerungen: Dieter Vollmer leitete El Buen Libro wohl übergangsweise; auch sonst wird berichtet, dass aus ›Europa geflohene‹ Nationalsozialisten dort arbeiteten oder aushalfen.

Was die Publikationen angeht, lag die Hochzeit des Verlags – geht man von den bibliothekarischen Metadaten aus – zwischen 1945 und 1950. 1948 kamen, ausweislich der Metadaten, Lizenzausgaben verschiedener Verlage hinzu (u.a. Stalling, Deutsche Buch-Gemeinschaft); nach 1951/52 sind kaum noch neue Bücher erschienen. Die bereits erschienenen Bände wurden weiter vertrieben; spätestens dann offenbar auch auf dem deutschen Markt. Zumindest zwei Verlagsprospekte sollen existieren (1949; 1963), die ich bisher noch nicht einsehen konnte.

Was publizierte der Verlag?

Aus den Bibliothekskatalogen lässt sich das Verlagsprogramm nicht vollständig rekonstruieren; auf dem antiquarischen Markt finden sich immer wieder Veröffentlichungen, die in den Katalogen nicht verzeichnet sind. Mit 65 Datensätzen für Bücher (Reihen bzw. Serien nicht mitgerechnet) scheint die DNB die größte Sammlung zu besitzen. Zum Vergleich: Im K10Plus-Katalog finden sich Datensätze für 25 Bücher, im Katalog der Preußischen Staatsbibliothek sowie der Bayrischen Staatsbibliothek jeweils ein Datensatz. Unter den 50 bekannten Autoren bzw. Herausgebern finden sich 46 Männer und 4 Frauen; ein Titel konnte nicht zugeordnet werden. Am häufigsten vertreten ist mit Hermann Löns (5 Titel, u.a. zwei Auflagen des Wehrwolf (1909/10), zudem ein Hermann-Löns-Buch) ein für die NS-Kulturpolitik zentraler Autor. Von Hans Friedrich Blunck sind zwei Bücher verzeichnet. Der Autor von Volk ohne Raum (1926) publizierte dort (wie in Deutschland auch im Plesse Verlag; vgl. Müller/Müller-Zetzsche 2025) seine Erzbischofschrift. Antwort eines Deutschen, für die der Verlag ganzseitig in rechtsextremen Zeitschriften warb. Verlegt wurde dort auch der nationalsozialistische Autor Gustav Frenssen, NSDAP-Mitglied und Unterzeichner des Treuegelöbnisses, der NS-Diplomat Rudolf Rahn (für den Friedrich Sieburg eine Zeitlang tätig war) oder Emil Strauß, ebenfalls NSDAP-Mitglied (seit 1930), der wie Blunck oder Ina Seidel auf der ›Gottbegnadeten-Liste‹ steht. Auch Ina Seidels Sohn veröffentlicht dort, und zwar nicht – wie sonst – unter seinem Pseudonym Christian Ferber, sondern unter seinem Geburtsnamen Georg Seidel.

Offene Fragen

Bei dem Verlag, der auch Goethe oder Fontane herausbrachte, konnten in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Reihe von nationalsozialistischen Autoren eine neue publizistische Heimat finden. Über die Verlagstätigkeit und die Netzwerke ist bisher wenig bekannt: Wie umfassend ist das verlegerische Netzwerk von Dr. Werner Schmidt? Wo konnte er auf Verbündete zählen, wo stieß er auf Hindernisse? Wie kamen es zu den Lizenzausgaben des Stalling-Verlags oder der Deutschen Buch-Gemeinschaft? Ist der Nachlass Werner Schmidts erhalten und in privater Hand, ebenso das Verlagsarchiv? Relevant wäre auch: Ab wann waren die Bücher auf dem deutschen Markt erhältlich? Erst mit der Erteilung der Generallizenz im September 1949 oder bereits früher? Das Beispiel zeigt, wie viel Forschungsbedarf mit Blick auf die Literatur- und Verlagsgeschichte nach 1945 besteht – und welches Potential in fachübergreifenden Ansätzen liegt.

Bei den Recherchen haben sehr geholfen: Dr. Roman Kuhn (Stabi Berlin), Stephanie Nitsche (DNB), Dr. Lena Seauve (FU Berlin).

Zitierhinweis: Hendrikje Schauer: »El Buen Libro, gegründet 1945 in Buenos Aires«. In: dies.: Blog, 10. Februar 2025, https://hendrikjeschauer.net/blog-libro. © Hendrikje Schauer 2025.