Wie viele Titel? Belletristische Publikationen zwischen 1945 und 1963

Wer mit bibliothekarischen Metadaten arbeitet, stützt sich auf Daten, die sich im Wandel befanden und noch finden: Bibliotheken erwerben weiterhin neue Bücher, überarbeiten Katalogeinträge oder verändern ihre Erschließungskriterien: Die Historische Systematik etwa, die der Erschließung im Alten Realkatalog (ARK) der Staatsbibliothek zu Berlin zu Grunde liegt, wurde nur bis 1955 verwendet. Umso wichtiger ist es, die abgerufenen Daten mit überlieferten Angaben abzugleichen.

Ruft man die Anzahl der belletristischen Gesamtpublikationen ab, die pro Jahr im Katalog der DNB verzeichnet sind, ergibt sich eine Auffälligkeit für das Jahr 1955. Die Anzahl der für 1955 verzeichneten belletristischen Publikationen ist deutlich höher als in den umliegenden Jahren. Sie fügt sich auch nicht in den sonst erkennbaren langsamen Aufwärtstrend.

Gegenproben

Wie lässt sich das erklären? Im ersten Schritt wäre zu prüfen, ob sich dieser ungewöhnliche Wert auch in den bisher verfügbaren Erhebungen findet. Seit 1951/52 werden die Kennzahlen des Buchmarkts für den deutschsprachigen Raum systematisch erhoben und in Buch und Buchhandel in Zahlen (BuBiZ) publiziert – verantwortlich dafür zeichnet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Diesen jährlich erscheinenden Bänden ging eine Ausgabe aus den 1930er Jahren voraus: Der deutsche Buchhandel in Zahlen erschien 1937, ebenfalls besorgt vom Börsenverein. Die Kennzahlen lassen sich nicht direkt mit den Ergebnissen der Katalogabfrage vergleichen. Abweichungen ergeben sich bereits aus den unterschiedlich abgesteckten Bereichen: BuBiZ hat die Zahlen für Ost und West separat erhoben; das lässt sich bei einer einer SRU-Datenabfrage nicht unmittelbar reproduzieren. Für die BRD liegen Daten für die Jahre 1951–1963 vor, für die DDR (die noch SBZ genannt wird) für den Zeitraum 1953–1959. Publikationen aus Österreich und der Schweiz sind offenbar nicht systematisch einbezogen worden.

Für den Vergleich instruktiv sind zudem die stichprobenartigen Auswertungen, die Günter Häntzschel, Adrian Hummel und Jörg Zedler in Deutschsprachige Buchkultur der 1950er Jahre für die Jahre 1950, 1955 und 1960 vorgenommen haben. Bei ihren Auswertungen stützen sie sich auf die Bestände der DNB; die Daten haben sie nach eigener Auskunft von der DNB direkt bekommen. Daraus ergibt sich folgendes Bild:

Kontrastiert man die Ergebnisse der SRU-Abfrage (DNB) mit den bisher vorliegenden Erhebungen, bleibt das Ausreißer-Jahr 1955 also erklärungsbedürftig. Besonders überraschend ist, dass sich Abweichung in den Auswertungen von Häntzschel & al. die sich ebenfalls auf die Metadaten der DNB stützen, nicht erkennbar ist.

Auswertung der Metadaten

Analysiert man die Metadaten genauer, ergibt sich für das Jahr 1955 eine unerwartete Verteilung der Titel nach Verlagen: Mehr als die Hälfte der Titel kommt von 15 eher unbekannten Verlagen, wie die folgende Graphik zeigt. Das Erscheinungsjahr ist bei einem Großteil der Titel mit ›ca.‹ oder ›ungefähr 1955‹ verzeichnet.

Vergleicht man die Produktion dieser 15 Verlage, sofern sie sich in den Metadaten der DNB abzeichnet, für die umliegenden Jahre, bestätigt sich die Anomalie: Für das Jahr 1955 sind die verzeichneten Titel ungewöhnlich hoch – für die anderen Jahre sind die Angaben so niedrig, dass sie in einer Graphik kaum erkennbar sind. Ändert man die Skalierung, indem man die Publikationen für Jahr 1955 ausblendet, verbessert sich die Lesbarkeit. Erkennbar wird zudem, dass die Anzahl der Publikationen dieser Verlage auch im Jahr 1960, dem Jahr mit der zweithöchsten Menge belletristischer Publikationen im Untersuchungszeitraum, vergleichsweise hoch sind.

Die Auswertung der Metadaten hat auf eine konkrete Spur geführt: Im belletristischen Ausreißerjahr 1955 wurden besonders viele Publikationen einer Reihe von Trivialverlagen in den Katalog aufgenommen. In der Auswertung der Gesamtdaten ist das zu berücksichtigen.

Bei den Recherchen haben sehr geholfen: Prof. Dr. Frank Fischer (FU Berlin), Dr. Roman Kuhn (Stabi Berlin), Stephanie Nitsche (DNB), PD Dr. Jörg Zedler (Universität Regensburg).

Zitierhinweis: Hendrikje Schauer: »Wie viele Titel? Belletristische Publikationen zwischen 1945 und 1963«. In: dies.: Blog, 3. Februar 2025, https://hendrikjeschauer.net/blog-titel. © Hendrikje Schauer 2025.